Zeitzeugen
gesucht - Osnabrück: Luftwaffenhelfer von 1943-1945
Nach
einer Notdienstverordnung des Deutschen Reiches vom 15.10.1938
konnten nach Vollendung des 15. Lebensjahres Personen zum Militärdienst
eingezogen werden.
1943/1944: Bei uns
in Bassum war es so, dass alle Mittelschüler der Klasse 5,
Jahrgang 1928, als Luftwaffenhelfer nach Osnabrück eingezogen
wurden. Ich wurde am 5. Januar 1944 eingezogen.
Die Ausbildung an
der Flak 8,8 verbrachte ich in der Stellung Wellmann. Dort sah
ich auch zum ersten Mal Bombeneinschläge in der Nähe
unserer Stellung bei einer Papierfabrik. Ich erinnere mich, dass
ein Soldat eine schreiende Filmvorführerin in einen Splittergraben
brachte. Wir hatten vier Geschütze, an denen wir ausgebildet
wurden. Die Luftwaffenhelfer wurden als „K2“, „K3“
und „K6“ (Seite, Höhe und Zünderstellung)
ausgebildet. Der „K1“ war ein Unteroffizier oder ein
Gefreiter. „K4“ und „K5“ waren Munitionsschlepper.
Diese Arbeiten wurden oft von russischen Kriegsgefangenen oder
Italienern ausgeführt („Hiwis“). Außerdem
gab es noch die Ausbildung am Funkmessgerät, Kommandogerät
und dem „Malsi“-Gerät („Umwertung“).
Die Ausbildung dauerte vier bis sechs Wochen. Drillichzeug, Soldatenuniform,
Ausgehuniform und einen großen Wachmantel erhielten wir.
Dann kamen wir zur Stellung Kalkhügel, wo ich zunächst
in der „Umwertung“ war. Habe mich dann aber zum Sicht-Geschütz
gemeldet. Unsere Unterkunft waren Baracken für vier, sechs
oder acht Luftwaffenhelfer, außerdem eine Schulbaracke.
Die Lehrer (Kohlbrecher, Steen, Voigt) kamen zu uns, bei Chemie
und Physik mussten wir in die Stadt (zur Wittekind/Möser-Mittelschule,
Backhaus-Mittelschule). Meistens fiel der Unterricht aus wegen
Fliegeralarm. Wir hatten acht Geschütze (russische Geschütze
8,2 cm / aufgebaut auf 8,8 cm) und nebenan acht Sockelgeschütze
8,8 cm als Großkampfbatterie mit 16 Geschützen. Unser
Batteriechef hieß Oberleutnant Münch („Stahlkorsett“).
Geschäftsführender Staffelführer war Wachtmeister
Colditz.
Wenn wir Ausgang
hatten, mussten wir unsere Ausgehuniform tragen mit der HJ-Armbinde,
die dann außerhalb der Batterie-Stellung entfernt wurde,
weil wir ja als Soldaten anerkannt werden wollten. Wenn wir in
der Stadt waren, mussten wir bei Fliegeralarm einen Bunker aufsuchen
und wurden auch manchmal aufgefordert, Hilfe zu leisten und Feuer
zu löschen. Mit meinem Freund, Bernd Fortmann, löschte
ich einmal in einem größeren Gebäude in der Nähe
des Doms in der 1. Etage eine Feuerwand und isolierte eine Stabbrandbombe
mit einem Eimer Sand, den wir dort fanden. Beim Hinausgehen konnten
wir keine Tür finden wegen der Rauchschwaden. Mit einem nassen
Taschentuch gelang es dann, nach draußen zu kommen. Dort
sahen wir mehrere Bombenkrater, die teilweise auch die Schienen
der Straßenbahn mit ihren Verankerungen hochgerissen hatten.
Unser Spieß
(Hauptfeldwebel) war ein besonderes Ar…loch, der uns schikanierte,
wo er konnte. So musste ich einmal zum Rapport vor der ganzen
Batterie mit Gasmaske und Stahlhelm antreten und wurde mit einer
ganzjährigen Urlaubssperre bestraft, weil ich während
der Mittagspause mit Stiefeln auf meinem Bett lag. Ein anderer
Luftwaffenhelfer wurde zu drei Tagen Arrest verurteilt, weil er
geraucht hatte (16 Jahre alt). Und noch mehrere Dinge geschahen.
Dies berichtete ein Luftwaffenhelfer, dessen Vater ein höherer
Offizier in Russland war, seinem Papa.
Und eines Tages wurde
unser Spieß dann nach Russland strafversetzt… Es kam
auch vor, dass wir manchmal fürs Theater abkommandiert wurden.
Ich musste einmal mit einem Kameraden in der Operette „Manina“
von Nico Dostal mitspielen und die Schleppe der Königin tragen
usw... .
In der kalten Jahreszeit
hatten wir einen Hiwi (russischer Gefangener), der uns unseren
Ofen morgens anmachte. Er bekam dann von uns ein Kommissbrot oder
etwas anderes zum Essen, was aber eigentlich strengstens verboten
war, aber auch zeitweise geduldet wurde. Es gab einen Stubenältesten
und wir wurden auch zum Stubendienst eingeteilt. Weil ich mich
freiwillig zur Luftwaffe gemeldet hatte, bekam ich vier Wochen
Segelfliegerurlaub in Wernigerode im Harz. Die Segelflugzeuge
hatten alle Tarnanstrich wegen der Tiefflieger. Aber da dieser
Lehrgang im November stattfand und es geschneit hatte, mussten
wir bei Fliegeralarm unsere Vögel schnell in den Stall (Hangar)
bringen. Einmal wurde von einer Lightning (Doppelrumpfflugzeug)
ein Segelflugzeug in Brand geschossen.
Nach halbjähriger
Dienstzeit wurden wir zum Oberluftwaffenhelfer befördert
(auf den Schulterklappen silberner Streifen, bei Kriegsoffiziersanwärtern
zusätzlich noch ein roter Streifen). Leider bekamen wir das
Flakkampfabzeichen nicht mehr verliehen, welches bereits eingereicht
war. Unsere Geschütze hatten eine V/0 von 820 m / sec. und
schossen etwa 9000 bis 10000 m hoch bei 85 Grad. Das Übungsschießen
machten wir in Stellung Sonnenhügel. Es wurde eine große
Glasplatte aufgestellt und wir schossen dann nach dem Flugzeug
um 180 Grad verstellt. Die Schussfolge war 3 sec... . Nach einem
Kampftag bekamen die Soldaten Schnaps und Zigaretten und die Luftwaffenhelfer
eine Rolle Drops und ein Stück Leberwurst. Unser Urlaub betrug
zweimal 14 Tage im Jahr und der Wehrsold war 50 Reichspfennig
pro Tag. Wir wurden auch einmal von einem Luftwaffenhelfer, der
in Osnabrück wohnte, zu Hause eingeladen und er spielte uns
dann seine Schallplatten vor (Jazz usw.). Eine Melodie habe ich
heute noch im Ohr: „Si-Si-Si-schenk mir bitte einen Pfennig
…“.
Wegen einer Blinddarm-OP
kam ich nach Großenkneten in der Nähe von Delmenhorst
in ein Lazarett. Dort lagen auch Verwundete, abgeschossene amerikanische
Flieger. Als ich wieder fit war, musste ich denen des Öfteren
Kaffee einschenken. In der Nähe war ein Scheinflugplatz und
es landeten dort eines Tages drei Kampfflugzeuge vom Typ Ju88
mit Bomben beladen. Es war Fliegeralarm und die Besatzungen der
Flugzeuge begaben sich mit ihren Orden und Ehrenzeichen in die
Kantine als plötzlich feindliche Tiefflieger die Ju88 zusammenschossen,
mit einem ohrenbetäubenden Krach, worauf sich die gefangenen
Amis beschwerten und schimpften, dass ihre Landsmänner auf
das Rote Kreuz schossen. Als ich wieder in meiner Flakstellung
in Osnabrück war, passierte etwas Merkwürdiges. Es war
mal wieder Fliegeralarm und ein Kampfverband von amerikanischen
B17-Bombern war im direkten Anflug in etwa 4000 bis 5000 Metern
auf Osnabrück. Wir hatten das Ziel schon aufgefasst und warteten
auf den Schießbefehl, als es plötzlich hieß:
Schießverbot! Was war geschehen? Wir dachten an Sabotage
oder ähnliches, als es dort oben plötzlich knallte und
einige Bomber abstürzten. Wir sahen silberne Punkte durch
den Verband jagen und dachten an eine Geheimwaffe. Das alles passierte
im September / Oktober 1944. Es wurde alles streng geheim gehalten.
Erst später erfuhr ich, dass es sich um Düsenjäger
vom Typ Me262 handelte, die in Achmer-Hesepe in der Nähe
von Osnabrück stationiert waren.
Im Frühjahr
1945, kurz vor Kriegsschluss, wurden wir nach Stellung Sonnenhügel
verlegt und erlebten dort eines Nachts einen Bombenteppich von
englischen Bombern. Es war grauenhaft. Viele Geschütze fielen
durch Bombentreffer aus. Es gab keine Werte mehr zum Einstellen
der Geschütze. Es gab Tote und Verletzte und ich möchte
hierüber nicht weiter berichten.
Ich kam in ein Krankenrevier
und wurde dort zusätzlich noch auf akutes Gelenkrheuma behandelt.
Ich wurde dann nach Hause überwiesen und musste mich dort
noch in einem Rot-Kreuz-Krankenhaus einer Mandel-OP unterziehen.
Nach Gesundung war ich dann zuhause, als der Krieg beendet war…
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